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Das Genogramm – Schlüssel zum eigenen Leben

 

Wir sind auf vielfache Weise mit dem Leben unserer Vorfahren verbunden. Oft genug wiederholt sich bei uns, was bereits Generationen zuvor geschah. Dieses Stellvertreterphänomen lässt sich mithilfe eines Genogramms entschlüsseln. Damit wir uns von einer Last befreien können, die nicht unsere ist. Und frei werden für unser eigenes Leben. 

 

Warum gerade jetzt?

 

Der Zeitpunkt, an dem wir uns unserer Familiengeschichte bewusst werden wollen, ist bedeutsam. Wenn wir beginnen, in alten Fotoalben und Briefen, Urkunden und Stammbüchern zu stöbern, spüren wir, dass in der Geschichte der Sippe eine Erkenntnis auf uns wartet, die für unser zukünftiges Leben von großer, ja vielleicht entscheidender Bedeutung sein kann. Lange haben wir ein dumpfes Gefühl mit uns herumgetragen, dass wir auf seltsame Weise das Leben eines Anderen leben. Dass da etwas Fremdes in uns ist. Und wer soll dieser Andere, diese Andere sein, wenn nicht ein Mitglied unserer Familie, unserer Ahnenreihe?

 

Wenn wir uns – jetzt! – dieser Geschichte zuwenden und ein Genogramm unserer Familie erarbeiten wollen, hegen wir die Hoffnung, Antworten auf die Frage zu finden, warum sich viele unserer Sehnsüchte nicht erfüllt haben. Warum das Leben nicht so verlaufen ist, wie wir es eigentlich erträumt hatten. Und wir können dieser Hoffnung trauen – ja, der Grund dafür liegt mit großer Wahrscheinlichkeit in unserer Familiengeschichte.

 

Im Genogramm zeigen sich die Gefühlserbschaften

 

Wir sind auf vielfache Weise mit unserer Sippe und den Ahnen verbunden. Wir haben ihre Gene geerbt, manchmal ihre Häuser, aber, wie die Epigenetik belegt, auch ihre Erfahrungen. Es gibt das, was Sigmund Freud „Gefühlserbschaften“ nennt. Es ist das Erbe von Freude, Fähigkeiten und Erfolgen, die das Leben unserer Vorfahren geprägt haben, aber eben auch Ohnmacht, Gewalt, Trauer und Schuld. In Deutschland gehören zu diesen Gefühls- und Erfahrungserbschaften zudem Krieg, Holocaust, Vertreibung, Hunger und große Not. Auch wenn diese Zeit schon länger als 70 Jahre zurückliegt, erleben wir ihre Auswirkungen immer noch.

 

Dieses Erbe kann ein Leben nachhaltig bestimmen.

  • Ein Mann, dessen Mutter unter Waffengewalt aus dem Sudetenland vertrieben wurde, stellt immer wieder Situationen her, in denen er vertrieben wird.
  • Eine Frau, Enkelin eines SS-Mannes, erlebt eine geradezu zwanghafte Pflicht, Dinge an ihrer Arbeitsstelle „wiedergutzumachen“.
  • Die Tochter einer aus Pommern geflüchteten Frau, folgt einer Lebensmaxime, die auf der Flucht lebensrettend war: persönliche Bedürfnisse sind verboten.

 

Die Generation der Kriegsenkel trägt das dunkle Erbe der Familie

 

Es ist die Generation der Kriegsenkel – der Kinder derer, die im Krieg Kinder waren –, die mit diesem Gefühl leben, nie wirklich anzukommen, weil Eltern oder Großeltern aus ihrer Heimat flüchten mussten oder vertrieben wurden. Das Symptom: häufige Job- und Wohnortwechsel. Viele bestimmt die Angst davor, sich im Job mit ihrem ganzen Potenzial zu zeigen, weil man dafür „aus der Deckung kommen“ müsste, was im Krieg tödlich sein konnte. Und es sind rätselhafte Verkettungen von Erfahrungen des Scheiterns. Sie können in der Loyalität mit der Familie begründet sein: „Darf ich meinen Traum leben, wenn meine Vorfahren soviel Schweres erleiden mussten?“

 

Das Stellvertreterphänomen im Genogramm

 

In einer unbewussten Aneignung des Familienerbes werden wir zu Stellvertretern. Und die Parallelen, die sich in den Lebensläufen zeigen, sind manchmal frappierend präzise.

  • Ein Mann verunglückt in genau demselben Alter, in dem ein Großelternteil verstarb.
  • Ein anderer erkrankt schwer im gleichen Alter, in dem ein Vorfahre seine Partnerin verlor.
  • Eine Frau bekommt ohne erkennbaren Anlass eine Angststörung mit bedrängenden Panikattacken – genau in dem Alter, in dem ihre Mutter an Krebs erkrankte.

 

Diese Parallelen sind kein Zufall. Das mag esoterisch klingen, aber das ist es nicht. Die Psychoanalyse gibt uns eine Erklärung für diese befremdlich anmutenden Phänomene. Danach sind es die nicht-integrierten Persönlichkeitsanteile der Vorfahren, die auf die nächsten Generationen übertragen werden und im Erleben, in Träumen, Phantasien und Affekten wirksam sind, sich aber dem Verstehen entziehen. Gleichsam am Bewusstsein vorbei steuern sie das Verhalten, äußern sich in psychischen oder psychosomatischen Symptomen, werden in unbewusst hergestellten Situationen aufs Neue inszeniert. Es sind schicksalhafte Verstrickungen – und mithilfe eines Genogramms können wir ihnen auf die Spur kommen.

 

Die Ordnung der Stellvertreter im Genogramm

 

Die Erforschung der Generationen ermöglicht erstaunlich präzise Zuordnungen der Positionen in der Ahnenfolge (eine wichtige Quelle hierfür war der Aufsatz „Was hat der frühe Tod meines Großvaters mit mir zu tun?“ von Monika Adamaszek).

  • Das erste Kind hat die Aufgabe, den Eltern zu geben, was diese von ihren eigenen Eltern nicht bekommen haben. Der erste Sohn oder die erste Tochter müssen gleichsam elterliche Funktionen gegenüber ihren Eltern übernehmen. Das Phänomen heißt Parentifizierung, es ist bei Kriegskindern und Kriegsenkeln weit verbreitet.
  • Die an dritter Stelle geborenen Kinder bekommen den Auftrag, unerledigte Aufgaben der Eltern zu erfüllen. Bei den Kriegsenkeln bedeutet das sehr häufig, Familientraumata aus der Kriegszeit zu bearbeiten.
  • Die Stellvertretung folgt der Geschlechterrolle: Söhne vertreten die Männer, Töchter die Frauen im System. Ein Einzelkind muss häufig beide Geschlechter vertreten, nicht selten eine besonders herausfordernde Verpflichtung.

 

Im Fokus der Genogrammarbeit: Brüche in der Familiengeschichte

 

Bei der Erforschung gilt unser Interesse vor allem Ereignissen, die aus der Geschichte der Familie herausragen: Heiraten, Geburten, Geschäftsgründungen, Pleiten, Trennungen, Unfällen, Erkrankungen, Ortswechseln, Verbrechen, Todesfälle. Wurden diese Ereignisse von den Vorfahren emotional nicht verarbeitet – integriert, wie Psychoanalytiker es nennen –, sondern abgespalten, gar als Geheimnisse schamhaft verborgen, wirken sie in kommenden Generationen nach. Und es ist verblüffend, wie uns die Wiederholungen der Familiengeschichte im selben Alter ereilen, in dem sie auch die Vorfahren erlebt, ja erlitten haben.

 

Den transgenerationalen Wiederholungszwang auflösen

 

Wir können zugespitzt formulieren: Werden diese Verstrickungen nicht aufgelöst, unterliegen wir einem transgenerationalen Wiederholungszwang, reinszenieren das Schicksal unserer Vorfahren, müssen Verantwortung übernehmen für Dinge, für die wir keine Verantwortung tragen, spielen Rollen, die nicht unsere sind, erleben Konflikte, die andere begonnen haben. Wir wiederholen in Teilen tatsächlich das Leben von anderen.

 

Aber: Wir sind dem nicht ausgeliefert. Indem wir mithilfe der Genogrammarbeit ein Bewusstsein für die Verstrickungen entwickeln, können wir aus den transgenerationalen Mustern aussteigen.

 

Aufbruch in das eigene Leben

 

Wie kann der Ausstieg aus den überkommenen Mustern, der Aufbruch in unser ganz eigenes Leben gelingen? Verschiedene Wege und Methoden haben sich als hilfreich erwiesen.

 

1.   Genogrammarbeit: Die Hintergründe sind hier jetzt ausführlich beschrieben. Ich lade Sie herzlich zu einem Gespräch darüber ein.

2.   Autobiografisches Schreiben: In der darstellenden Wahrnehmung der eigenen Biografie werden wir wieder zu Regisseuren unseres Lebens, bekommen Distanz, erleben Selbstwirksamkeit und Souveränität.

3.   Therapie oder Coaching: Manche Themen, die sich bei der Beschäftigung mit Familie und Biografie aufdrängen, sollten weiterbearbeitet werden. Das kann je nach Intensität und Schwere der Belastung in einer Therapie oder in einem Coaching geschehen.

 

Zu Beginn hatte ich die Frage gestellt: Warum gerade jetzt? Die Antwort ist: weil wir keine Zeit mehr verlieren wollen in einem Leben, das nicht unseres ist. Genau jetzt soll endlich unser eigenes beginnen!

 

 

Weiterführende Links und Angebote

 

Mein Angebot zur Genogrammarbeit: https://www.genogrammarbeit.de/

 

Seminare für Kriegsenkel: https://www.kriegsenkel.de/einsteigerseminare-bundesweit/

 

Seminare für autobiografisches Schreiben: https://svenrohde.com/erzaehl-die-heilsame-kraft-deiner-eigenen-geschichte/

 

Coaching mit Fokus auf Kriegsenkel: https://svenrohde.com/


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